richblog 0005: Die Kunst des Liederschreibens

2010-11-18


Manchmal fluppt‘s auf Anhieb – morgens landet ein Stück Musik auf meinem Schreibtisch, gelegentlich mit einer thematischen Vorgabe des Komponisten oder Interpreten, und rechtzeitig zum Abendessen habe ich einen fertigen Text dazu. Und ich habe sogar schon erlebt, dass der Künstler mit dieser ersten Version zufrieden war.

Glück gehabt.

Meistens läuft das natürlich ganz anders. Mal kann ich mit der Musik nicht viel anfangen, mal geht mir das Thema gegen den Strich. Mal gibt es gar kein Thema, mal kann der Künstler überhaupt nichts mit dem anfangen, was mir dazu eingefallen ist. Und dann gibt es freilich die Tage, wo sowohl Musik als auch Thema mir zusagen - aber mir ums Verrecken nichts Vernünftiges dazu einfallen will.

Wieder und wieder höre ich mir die musikalische Vorlage an, bis sie mir zu den Ohren wieder raus kommt; ich wühle mich durch Zitate-Datenbanken, Witze-Seiten und Zeitungsarchive, höre tausend andere Songs in der Hoffnung auf Inspiration ... - nix. Brett vorm Kopp. Tagelang, wochenlang stottere ich mir Zeilen zusammen, die allesamt wieder im Papierkorb landen, mein Nikotinkonsum nimmt bedenkliche Ausmaße an, und in der dritten Woche komme ich zu dem deprimierenden Schluss, dass ich als Texter im Grunde eine Nulpe bin.

Frust. Kummer.

Kummer kann man oft besser ertragen, wenn Alkohol im Spiel ist. Mal ganz davon abgesehen, dass so eine Dichtermuse, wenn Alkohol im Spiel ist, auch schon mal spontan aufdrehen und einen mit erstaunlichen Einfällen überraschen kann.

Also ab in den Dorfkrug. Kummer ertränken. Und dem Volk aufs Maul schauen.

Bzw. sich zwangsläufig anhören, was das Volk so hört, wenn es ausgeht und gute Laune sucht.

Saisonbedingt heutzutage gerne Karnevalslieder.

Karnevalslieder sind für den Texter eine ganz besondere Baustelle. Besonders in Köln. Kölsch sollen sie sein, obwohl sie oft genug, wenn nicht überwiegend, von Leuten gesungen und gehört werden, für die dieser Dialekt nach wie vor eine Fremdsprache ist. Lustig sollen sie sein („Aber nicht für deine Art Humor, Rich!“). Ein bisschen kritisch sollen sie auch gerne mal sein, aber nur ja niemandem auf den Schlips treten (und die Kölner Karnevalslandschaft ist voll von langen Schlipsen ...!). Und am besten sollen sie lokalpatriotisch sein - Karnevalslieder schreibt man ja nicht für sich, sondern für das Publikum. Ein Publikum, das mit Vorliebe herzerwärmende Refrains wie „Du bist Kölle“ oder „Kölle, du bist ein Gefühl“ oder Songperlen wie „Das Herz von der Welt, das schlägt in Köln“ schmettert.

Hits, eben.

Kölsche Hits.

Jeder Karnevalssänger träumt von einem Hit. Ist quasi ständig auf der Jagd nach einem Refrain, der dermaßen zündet, dass er im Radio rauf und runter genudelt wird und die lachende Köln-Arena (nein, ich weigere mich, diesen dämlichen anderen Namen zu benutzen!) ebenso zum Schunkeln bringt wie die zwei Millionen entlang des Rosenmontagszugwegs. So etwas wie „Ich möchte zu Fuß nach Köln gehen“ oder „Trink doch einen mit“ oder „Das Spanien-Lied“, „Die Karawane zieht weiter“ oder „Rot sind die Rosen“, Lieder, die in der Karnevalssession in Kneipen wie unserem Dorfkrug mindestens siebenmal am Abend den Laden und den Umsatz in Schwung bringen. Betonung auf mindestens.

Lieder wie dieses hier - das diesjährige Kölner Mottolied „En Kölle jebütz - In Köln geküsst“, hier auszugsweise in meiner Immi-freundlichen Übersetzung ins, na ja, Hochdeutsche:


In Köln geborene Mädchen tun gut küssen

Und das nicht nur in der Nacht

So ein Mädchen hier in Köln

Wird auch am Tag gern geküsst


Dich könnte ich jetzt auch mal küssen

Junge, das bringt mich flott in Fahrt

Denn geküsst wird hier in Köln

Ganz auf echte Kölner Art ...


Das könnte man jetzt auf vielfältige Art und Weise kommentieren.

Also, nicht nur man, sondern ich auch.

Muss man aber nicht.

Also ich auch nicht. Davon abgesehen, dass dieser Beitrag soo lang ja auch nicht werden soll, kann der Text eigentlich sehr gut für sich alleine stehen. Finde ich.

Aber habe ich das richtig verstanden: Der Sänger dieses Lieds feiert zwar die Kölner Mädels, die so gerne küssen, doch so richtig in Fahrt kommt er erst, wenn er einen Jungen küsst...?

Aloha. Bzw. ach so.


Schmitti heißt der Künstler. Bei Wikipedia finde ich Folgendes über ihn:


Im bürgerlichen Beruf ist Schmitti alias Jürgen Schmitt Bildender Künstler (Maler und Fotograf) und war bis 2010 Lehrer Oberstudienrat für Kunsterziehung. Er studierte zunächst von 1970 bis 1976 an der Staatlichen Kunstakademie Düsseldorf bei Professor Joseph Beuys und Professor Irmin Kamp und wurde 1975 aufgrund seiner künstlerischen Leistungen zum Meisterschüler ernannt. 1989 wurde er in den Bundesverband Bildender Künstlerinnen und Künstler aufgenommen.1990 folgte aufgrund seiner fotografisch künstlerischen Leistungen die Berufung in die Deutsche Gesellschaft für Photographie. Die Aufnahme erfolgte nach gutachterlichem Vorschlag durch zwei Fachjuroren.


Oberstudienrat. Kunsterziehung. Joseph Beuys. Meisterschüler.

Ich bin beeindruckt.

Besser gesagt: Ich bin platt.

In unserem Dorfkrug gibt es einen Kräuterschnaps, der heißt Feuerstuhl.

Her damit.

Meine Muse?

Sie ist zwar Kölnerin, aber mit Küssen hat sie es im Moment gar nicht.

Sie liegt schon unterm Tisch.


Und jetzt alle:

Lala laa lalala küss mich

Lala laala lalalaa

Lala laa lalala küss mich

Lala laala lalalaa ...


’ne schöne Jrooß - Rich