richblog 0009: Manni Hollaender

2011-11-28


Tja, das ist einer der Nachteile am Älterwerden:

Jahrzehntelang trifft man seine Freunde auf Geburtstagsfeiern, Wohnungseinweihungen, Plattenpräsentationen, Hochzeiten, Kindstaufen – und dann, irgendwann, im Laufe der Jahre, kippt das um; auf einmal stellt man fest: Shit – mittlerweile treffe ich die öfter auf Trauerfeiern als sonst wo.

Das ist nicht schön, aus mehreren Gründen: Erstens heißt das immer Abschied nehmen, von Menschen, die in meinem Leben eine Rolle gespielt haben – und die plötzlich nicht mehr da sind; zweitens ist man dann zwangsläufig umgeben von Menschen, die mindestens ebenso sehr unter dem gerade erlittenen Verlust leiden; drittens werde ich dort immer öfter daran erinnert, dass ich tatsächlich älter werde und dass das Leben nicht ewig dauert, nicht mal meins; und viertens stehe ich da bei diesen Gelegenheiten zunehmend mit einem schlechten Gewissen. Zum Glück kann ich das in den meisten Fällen mit mir selber ausmachen und muss gar nichts dazu sagen; aber natürlich konnte ich meinem Freund Richard seine Bitte nicht abschlagen, genau das gestern zu tun.

So schwer es mir auch fiel …


Life ain’t easy, singt der Chor in einem Song von Dr. Hook – das Leben ist nicht einfach.

Who ever said it would be, antwortet sarkastisch der einäugige Vorsänger – wer hat je behauptet, dass es das sei?

Nein, das Leben ist nicht einfach. Vor allem hat niemand gesagt, es sei gerecht. Kann auch niemand ernsthaft behaupten – ist es nämlich nicht. Spätestens bei solchen leider immer häufigeren Anlässen  wie diesen Beerdigungsfeiern wird mir das immer wieder bewusst, und genau deshalb habe ich da jedes Mal ein schlechtes Gewissen.

Wieder einmal stehe ich nämlich vor einem Verstorbenen, dessen viel zu früher Tod das nachdrücklich belegt. Da versucht jemand, sein Leben möglichst gesund und vernünftig zu gestalten, legt Wert auf gesunde Ernährung, treibt sogar Sport, gewöhnt sich schon früh das Rauchen ab und, nicht zuletzt abgeschreckt von den Alkoholexzessen so mancher Kollegen (und vielleicht auch von der Erinnerung an den einen oder anderen Abend, wo er selbst nach einem Auftritt im Zustand erhöhter Lebensfreude durch ein Hotelzimmer kroch, um heruntergefallene Kontaktlinsen wiederzufinden) bescheidet er sich mit einem gelegentlichen Gläschen Wein – und dann das.

Krebs.

Ein heimtückischer Tumor, für dessen Herkunft niemand eine Erklärung hat.

Der Junge wird nicht einmal so alt wie ich ...!

Und wer hält am Ende dieses von Vernunft geprägten Lebens die Trauerrede? Ein Kollege, der Sport überwiegend aus dem Fernsehen kennt, seit 45 Jahren Kette raucht und in seinem Leben wahrscheinlich mehr Zeit auf Barhockern verbracht hat als auf seinen eigenen Füßen …!

Nein, das Leben ist nicht gerecht.

Bei unseren paar Begegnungen in den letzten Monaten hat Manni das nie zur Sprache gebracht, wie er sich anscheinend überhaupt nicht ein einziges Mal über sein Schicksal beklagt hat – aber womöglich ging doch auch ihm gelegentlich durch den Kopf: Wieso ich? Wieso nicht der da?

Keine Ahnung, Manni. Dass ich es geschafft habe, so alt zu werden, wie ich bin, ist für mich selbst eine der größten Überraschungen meines Lebens. Aber natürlich ist es längst nicht so ein Schock wie der, dass Du es nicht geschafft hast. Und ich wünsche von ganzem Herzen, es hätte irgendetwas gegeben, womit ich Dir im letzten Jahr hätte helfen können, noch mal die Kurve zu kriegen.

Wo es doch noch so viel Musik zu spielen gegeben hätte …


Schön war es aber, zu sehen, wie viele Menschen sich gestern auf einem Aachener Friedhof eingefunden hatten, um diesem wunderbaren Freund und Kollegen ein letztes Mal die Ehre zu erweisen und sich von ihm zu verabschieden. Zu spüren, wie viele ihn vermissen.

Wie viele nicht nur seinen Tod, sondern auch die ungezählten verpassten Gelegenheiten bedauern, wo man zu Lebzeiten doch noch so vieles hätte tun und sagen und machen können ...

Daher auch der Satz in der Trauerrede: Auf jeden Fall eines habe ich gelernt, im Laufe dieses letzten Jahres: Man sollte sich um die paar Freunde, die man noch hat, mehr kümmern, bevor es zu spät ist. Bevor einem gar nichts anderes mehr übrig bleibt, als Abschied zu nehmen.


Manni liebte Blumen. Davon gab es viele, in dieser Trauerhalle, um seinen Sarg herum. Blumen und Kerzen. Und daneben standen ein sehr schön getroffenes Foto von Manni in Postergröße – und seine herrliche Dobro.

Jedes Mal, wenn meine Augen während meiner Rede dieses Arrangement streiften, musste ich mich sehr zusammenreißen, um überhaupt weiterreden zu können.

Life ain’t easy ...

Aber natürlich will und kann ich mich nicht beklagen – schließlich konnte ich anschließend den Friedhof verlassen und einen trinken gehen.


Ich danke allen, die da waren, für ihre Anteilnahme, ihre freundlichen Worte und ihre willkommenen und angemessenen Beiträge in Wort und Musik.


Mach‘s gut, Manni, wo immer Du jetzt sein magst.


Und Ihr da draußen, macht‘s auch gut. Und denkt daran: Das Leben ist nicht nur nicht einfach und nicht gerecht, sondern auch endlich. Jetzt haben wir ja wieder mal gesehen, wie schnell es vorbei sein kann. Hadert nicht. Regt Euch nicht auf. Streitet Euch nicht. Seid nicht neidisch, nicht eifersüchtig und nicht geizig. Sorgt dafür, dass es in Eurem Leben und vor allem im Leben Eurer Kinder immer Musik gibt. Und Liebe, natürlich.

Und denkt an Willie Nelson‘s Worte: Lüg niemanden an. Wenn du jemanden magst, kann eine Lüge alles verderben. Und wenn du jemanden nicht magst – warum solltest du ihn belügen ...?


’ne schöne Jrooß - Rich


p.s.: Auf dem Foto oben sehen wir auf der Bühne von Schroeders Rockpalast die Besetzung der Schroeder Roadshow 1978 – von links nach rechts: Uli Hundt, Rich Schwab, Richard Herten, Gerty Beracz, Manni Hollaender und Jesus Canneloni.

Der endgültige Abgang von der Großen Bühne begann in umgekehrter Reihenfolge – Jesus starb 2009, Manni 2011 …

Was, zum Teufel, sagt das jetzt dem Rest von uns …?